Sebastian Schnuelle – Mein Iditarod Rennen
Tagebuch des Bluekennel Teams 2006
Iditarod 2006 Teil II
So und was mache ich jetzt? Laufe ich herum um warm zu bleiben, oder traue ich es mich in den Schlafsack zu legen? Todmüde war ich ja, aber es war so kalt wie schon lange nicht mehr. Ich war mir nicht ganz sicher ob mein nun doch 10 Jahre alter Schlafsack diese Nacht hier mitmachen würde. Die Müdigkeit hat dann doch gesiegt und ich bin in den Schlafsack gekrochen. Vor dem Aufstehen hat es mir schon jetzt gegruselt. Unter mir lagen 1 lange Isomatte, ein kurzer Fetzen Isomatte obendrauf genau unter meinem Oberkörper, da drauf meine Hose. Auf meinem Schlafsack liegt mein dicker Parka und über meinem Gesicht ein Hundefleece. Ich bin dann tatsächlich eingeschlafen und habe aber im Halbschlaf immer wieder einige Teams vorbeifahren gehört. Als ich dann wieder aufgewacht bin habe ich am ganzen Körper gezittert und von meinen Füßen war auch nichts mehr zu spüren. Nichts wie aufstehen und warm laufen. Furchtbar… bei minus 45 Grad in die gefrorene Hose und Jacke zu schlüpfen.
Selbst das Booties anziehen bei den Hunden war mir nicht möglich. Ich habe nur hinbekommen den Hunden mit den schlechtesten Füßen die Dinger anzuziehen. Dann mußte ich erst mal wieder eine Meile hinter dem Schlitten herlaufen bis ich den nächsten 2 die Booties angezogen habe. Auf keinen Fall wollte ich Fußprobleme bei den Hunden riskieren, bei dieser Kälte ist der Schnee rau wie Sandpapier. Ohne Booties geht da nix. Die Füße der Hunde waren so gut wie in noch keinem Rennen zuvor. Habe da von Lance Mackey eine Geheimwaffe erfahren, die augenscheinlich gut funktioniert. Bei einer Bootie Pause hat mich dann der Dave Sawatzki überholt und wir sind in Sichtweite von einander nach Cripple gefahren.
Unterwegs ist in einer abrupten Linkskurve ein Baumstamm im Weg gewesen, der sich an meiner Bremse verhakt hat. Sofortiger Stillstand ist das Ergebnis, ich hatte einen Abdruck der Handlebar in der Brust und mir war erst mal die Luft weggeblieben. Keinem der Hunde schien aber etwas passiert zu sein. Als ich den Schneeanker aus einer Halterung holen wollte ging das nicht und ich habe gemerkt daß mein ganzer Schlitten an dieser Stelle auch verbogen war. Dort wo die Zugleine am Schlitten befestigt ist, war das Verbindungsseil (Bridle genannt) an beiden Seiten abgerissen und mein gesamtes Team hing nun nur noch am Schneeanker. Nix gut, aber einfach reparierbar. Im Vergleich zu anderen Mushern sollte ich hier Glück gehabt haben. Einigen war das gesamte Gespann losgerissen, anderen der Schlitten unreparable zerbrochen sein und die mußten sich nach Cripple einen Ersatzschlitten fliegen lassen. Mein Gattschlitten sollte sich mal wieder bewährt haben, wenn jemand einen bestellen will: [www.gattsleds.com] Die Flugzeuge wurden auch immer mehr am Himmel vor allem niedriger, ein sicheres Zeichen das der Checkpunkt nah ist. Dieses Teilstück kannte ich noch nicht, denn in geraden Jahren wird die Nordroute gefahren, in ungeraden Jahren die Südroute. In Ophir trennen die sich, in Kaltag am Yukon treffen die beiden Routen sich wieder.
Der Cripple Checkpunkt besteht nur aus Zelten, die speziell für das Rennen aufgebaut werden, sonst ist hier nichts. In den Walltents sind Ölöfen, so daß wir unsere Sachen gut trocknen können. Als Begrüßung stand eine aufblasbare Palme, Hawaii Blumen und ne nette Frau. Alaska Humor…, sehr willkommen an diesem Halbwegespunkt des Rennens.
Mein Timing war nach wie vor gut, ich war nach 5.5hr Laufzeit hier um 12.46 angekommen, und bin um 18 Uhr wieder weiter gefahren. Die Streckenangaben zum nächsten Checkpunkt haben von den offiziellen 112 Meilen, über 80 Meilen bishin zu 65 Meilen variiert, je nach dem wen man gefragt hatte. Einer der Checker hier war Jim Gallea, der selbst das Rennen schon einmal gefahren hatte. Laut ihm waren es von hier 20 Meilen bis nach Poorman. Von dort 5 zur Slana Brücke und dann weitere 40 nach Ruby. Der sollte es wissen. Noch konnte ich mit diesen Angaben keine Orte verbinden, was sich aber in den nächsten Stunden ändern sollte. Poorman war ein verlassenes Dorf was seinem Namen alle Ehre machte, die Slana Brücke wirklich gut zu erkennen und ab dort ist man, kaum zu glauben, auf einer breiten Straße, die vom nichts ins nichts führt. Unterwegs kam mir Matt Hayashida entgegen. Das ist immer kein gutes Zeichen und ich sollte ihn nicht wieder sehen, denn er ist von Cripple aus nach Hause geflogen. Der Traum, die Arbeit eines ganzen Jahres, war damit geplatzt.
Diese Nacht wurde zum Glück nicht so saukalt wie die letzte Nacht. Ab ca. Mitternacht wurde es dann sogar sehr windig und die Temperatur deutlich angenehmer. Es war allerdings nicht einfach einen Parkplatz zu finden, der windgeschützt war. Obwohl ich ungern bergauf Rast mache, denn es ist schwieriger von dort am Morgen zu starten, aber auch schwieriger für vorbeifahrende Gespanne, schien in einer steilen Innenkurve ein geeigneter Platz zu sein. Nach einer halben Stunde hat sich dann auch Ryan Redington zu mir gesellt. Mit einem anderen Musher zu campen macht immer mehr Spaß, noch umso mehr mit Ryan, der viele lustige Geschichten zu erzählen hat. Das sind dann die schönen Momente im Rennen, wo man nachts um 3 Uhr unter Nordlichtern steht und einfach sinnlos über Hunde quatscht. Nach viel zu kurzem Schlaf, hätten wir mal nicht so lange gesabbelt, sind wir dann morgens gemeinsam aufgebrochen. Der Wind sollte immer stärker werden und der Trail immer exponierter, so daß es gut war, daß wir uns beim Trailbrechen abwechseln konnten. Die Schneeverwehungen waren oft knietief, unterwegs haben wir einige Gespanne überholt, die diesen Lauf ohne Pause gemacht haben und demzufolge deutlich langsamer waren. Zum Teil hat mich das hier an den American Summit im Quest erinnert. Es war mir mal wieder nicht bekannt, daß hier ein solcher Berg war.
In Ruby angekommen sollte es mit dem Wind nicht besser werden. Man konnte nichts draußen liegen lassen, sonst war das sofort weg, im wahrsten Sinne des Wortes vom Wind verweht. Die Fleecedecken mußte ich auf den Hunden mit Schneebrocken beschweren. Mein Deckel vom Hundefutter Kocher habe ich einige Hundert Meter weiter gefunden. Eigentlich wollte ich hier 8 Stunden Pause machen. Die Rennregeln schreiben vor, daß wir an einem der Yukon River Checkpunkte mindestens 8 Stunden bleiben müssen. Da es aber für das Team einfach keinen windgeschützten Platz gab, bin ich nach 6 Stunden weiter gefahren. Dieses Mal waren wir in einem 3er Konvoi, Ryan Redington, Mike Jayne und ich.
Oft war vom Musher vor mir nichts zu sehen obwohl der nur 100 Meter weiter vorne war, so sehr hat es geblasen, zum großen Glück als Rückenwind. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde es dann ruhiger. Der Yukon ist hier unglaublich breit. Nicht umsonst heißt Yukon River in der Sprache der Einheimischen „Big River“, der große Fluß.
Der nächste Checkpunkt heißt Galena und scheint ein recht großer Ort zu sein. Da wir hier um 23.30 ankamen, war außer vielen Lichtern am Ufer nicht viel zu sehen. Galena war der pure Luxus. Die Parkplätze für die Hunde eingezäunt und komplett windgeschützt, etwas was für den Rest des Rennen nicht mehr oft vorkommen sollte. Obendrein gab es richtige Schlafzimmer mit Betten für uns, sowie fließend heiß Wasser für die Hunde und gutes Essen für uns. Bingo, die Entscheidung in Ruby schnell zu verschwinden war richtig. Auch war das Timing nicht schlecht, denn nach 8 Stunden konnten wir hier um 7.30 weiter. 5 Stunden Schlaf, das tat gut.
Am Morgen sind Ryan, Mike und ich wieder gemeinsam gestartet. Sehr zu meiner Freude wurde die Distanz zwischen mir und den beiden anderen Gespannen schnell größer. Dieser Run war der erste seit dem Start, wo die Bande einmal harmonisch und vernünftig lief. Das wurde auch langsam Zeit nach ca. 650 Meilen. Unterwegs habe ich dann Rick Casillo eingeholt. Rick und ich kennen uns gut aus Skgaway, wo wir beide unsere Hunde bei den Sommertouren beschäftigen. Wir haben den letzten Sommer oft am Feuer gesessen und über das Iditarod geträumt sowie Rennpläne geschmiedet. Pläne die nun ganz anders verliefen, aber Träume die wahr wurden. Ich hab schon immer gesagt: Träume sind nur des Träumens wert, wenn sie eines Tages Wirklichkeit werden. Zu diesem Zeitpunkt im Rennen habe ich dann auch meine Denkweise geändert und mich nicht mehr mental von Checkpunkt zu Checkpunkt gehangelt, sondern tatsächlich darüber nachgedacht, wann ich denn wohl in Nome ankommen würde. Wir kamen in Nulato um 13 Uhr an, viel früher als erwartet, aber das war auch gut so, denn es wurde wieder zu warm (minus 5°) über den Nachmittag. In Nulato hatte ich eine Abzweigung verpaßt und mir so erst noch einmal den ganzen Ort angeschaut.
Der Checkpunkt in Nulato war super organisiert, wenn auch wieder etwas windig für die Hunde. Zu Essen gab es hier für uns auch wieder reichlich, das ist mir immer sehr willkommen, mit vollem Bauch schläft es sich viel besser. Nach abgebrochenem Mittagsschlaf ging es um 18 Uhr weiter, ich bin vor den anderen gestartet. Die Hunde liefen wieder gut, der Trail war allerdings nicht so prickelnd und wieder ziemlich verweht. Im Dunkeln konnte ich hinter mir immer wieder eine Headlamp sehen, das war Rick.
Es verging im Rennen kein Tag, an dem wir nicht an einem liegen gebliebenen Motorschlitten vorbeigefahren sind. So auch heute Nacht wieder. Mich würden die Geschichten zu diesen „breakdowns“ interessieren, wie es der armen Seele wohl ergangen ist, die hier mitten auf dem Yukon zu Fuß weiter gehen mußte. Mir kamen 2 Motorschlitten entgegen, vielleicht war das die Antwort, niemals alleine fahren. Dank der Skidoo Spur wurde der Trail auch temporär etwas besser. Nach etwas mehr als 5 Stunden kamen wir in Kaltag an. Meine Stimmung war gut, denn der Lauf viel schneller als erwartet, aber mit 34 Meilen auch wieder kürzer als angekündigt. Hier sollten wir den Yukon wieder verlassen und ich kannte ab jetzt auch wieder die Stecke. Wieder konnte ich keinen Parkplatz ohne Wind finden. Wind und Kälte ist ne fiese Kombination. Als ich meinen Hunden dann wie gewohnt das Futter hingestellt habe, sollte meine Stimmung erneut innerhalb von wenigen Minuten auf Null sinken. Nicht ein Hund hat das Futter angerührt. Das kenne ich überhaupt nicht, meine Bande frißt immer super. Es gibt Musher die haben oft Freßprobleme bei den Hunden, aber bei mir gilt da wohl die Grundregel, wie der Herr so`s Gscherr. War der letzte Lauf zu kurz, die Futterabstände zu kurz, nee ich füttern sonst auch immer um Mitternacht. Die Hundehaufen sahen gut aus, kein Dünnschiss. Was war denn nun wieder los? Ich habe mich erst einmal zwei Stunden hingelegt und dann um 3 Uhr noch mal gefüttert, wieder mit dem gleichen Ergebnis. Keiner frißt, gar nicht gut. Im Nachhinein sollte ich hier einen Fehler machen.